Der Zehnte in der Gemeinde
Viele Freikirchen finanzieren sich über den Zehnten (Zehnter Teil vom Einkommen). Die grossen Positionen sind in erster Linie die Gehälter von Pastoren und der Unterhalt von Gebäuden. Der Zehnte ist ein biblischer Begriff. Doch können wir ihn auf die neutestamentliche Gemeinde anwenden?
Ursprung
Gott JHWH führte drei verschiedene Arten des Zehnten für die Israeliten ein: [1]
- Ein Zehntel vom Ertrag des Landes zur Unterstützung der Leviten, welche in Kanaan keinen Anteil am Erbe besassen
Und aller Zehnte des Landes, vom Samen des Landes, von der Frucht der Bäume, gehört JHWH; er ist JHWH heilig. Wenn aber jemand von seinem Zehnten lösen will, so soll er dessen Fünftel hinzufügen. Und aller Zehnte vom Rind- und Kleinvieh, von allem, was unter dem Stabe vorüberzieht, das Zehnte soll JHWH heilig sein; man soll nicht untersuchen, ob es gut oder schlecht sei, und soll es nicht vertauschen; und wenn man es dennoch vertauscht, so wird dasselbe heilig und das eingetauschte heilig sein; es soll nicht gelöst werden. (3. Mose 27,30-33)
Und siehe, den Kindern Levi habe ich allen Zehnten in Israel zum Erbteil gegeben für ihren Dienst, den sie verrichten, den Dienst des Zeltes der Zusammenkunft. Und die Kinder Israel sollen nicht mehr dem Zelte der Zusammenkunft nahen, um Sünde auf sich zu laden, daß sie sterben; die Leviten vielmehr sollen den Dienst des Zeltes der Zusammenkunft verrichten, und sie sollen ihre Ungerechtigkeit tragen: eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern. Aber inmitten der Kinder Israel sollen sie kein Erbteil besitzen; denn den Zehnten der Kinder Israel, welchen sie JHWH als Hebopfer heben, habe ich den Leviten zum Erbteil gegeben; darum habe ich von ihnen gesagt, dass sie inmitten der Kinder Israel kein Erbteil besitzen sollen. Und JHWH redete zu Mose und sprach: Und zu den Leviten sollst du reden und zu ihnen sprechen: Wenn ihr von den Kindern Israel den Zehnten nehmet, den ich euch von ihnen als euer Erbteil gegeben habe, so sollt ihr davon ein Hebopfer für JHWH heben, den Zehnten von dem Zehnten. Und euer Hebopfer wird euch gerechnet werden wie das Getreide von der Tenne und wie die Fülle von der Kelter. Also sollt auch ihr ein Hebopfer für JHWH heben von allen euren Zehnten, die ihr von den Kindern Israel nehmet, und davon das Hebopfer für JHWH Aaron, dem Priester, geben. Von allem euch Gegebenen sollt ihr alles Hebopfer JHWH heben, von allem Besten desselben das Geheiligte davon. Und du sollst zu ihnen sagen: Wenn ihr das Beste davon hebet, so soll es den Leviten gerechnet werden wie der Ertrag der Tenne und wie der Ertrag der Kelter. Und ihr möget ihn essen an jedem Orte, ihr und euer Haus; denn das ist euer Lohn für euren Dienst am Zelte der Zusammenkunft. (4. Mose 18,21-31) - Ein Zehntel vom Ertrag des Landes zur Unterstützung der religiösen Feste in Jerusalem (→ Festzehnte).
Du sollst treulich verzehnten allen Ertrag deiner Saat, die aus dem Felde erwächst, Jahr für Jahr. Und du sollst essen vor JHWH, deinem Gott, an dem Orte, den er erwählen wird, um seinen Namen daselbst wohnen zu lassen, den Zehnten deines Getreides, deines Mostes und deines Öles, und die Erstgeborenen deines Rind- und deines Kleinviehes, auf daß du JHWH, deinen Gott, fürchten lernest alle Tage. Und wenn der Weg zu weit für dich ist, dass du es nicht hinbringen kannst, weil der Ort fern von dir ist, den JHWH, dein Gott, erwählen wird, um seinen Namen dahin zu setzen, wenn JHWH, dein Gott, dich segnet: so sollst du es um Geld geben; und binde das Geld in deine Hand zusammen, und gehe an den Ort, den JHWH, dein Gott, erwählen wird. Und gib das Geld für alles, was deine Seele begehrt, für Rinder und für Kleinvieh und für Wein und für starkes Getränk, und für alles, was deine Seele wünscht; und iss daselbst vor JHWH, deinem Gott, und freue dich, du und dein Haus. Und den Leviten, der in deinen Toren ist, den sollst du nicht verlassen; denn er hat kein Teil noch Erbe mit dir. (5. Mose 14,22-27)
- Ein Zehntel vom Ertrag des Landes wird alle drei Jahre gesammelt für die örtlichen Leviten, Weisen, Fremden und Witwen.
Am Ende von drei Jahren sollst du allen Zehnten deines Ertrages in jenem Jahre aussondern und ihn in deinen Toren niederlegen; und der Levit - denn er hat kein Teil noch Erbe mit dir - und der Fremdling und die Waise und die Witwe, die in deinen Toren sind, sollen kommen und essen und sich sättigen; auf dass JHWH, dein Gott, dich segne in allem Werke deiner Hand, das du tust. (5. Mose 14,28-29)
Wenn wir die drei Zahlen addieren, kommen wir auf 23,3 % pro Jahr (10% + 10% + 3,3%). Das Geld wurde eingesetzt für die Priester Israels, Feste und die Armen. Hesekiel enthält eine Ankündigung des Beginns der messianischen Zeit und eine detaillierte visionäre Beschreibung eines zukünftigen, theokratischen Gemeinwesens der Juden (vgl. Kap. 40-48). Der Dienst der Leviten vom Samen Zadoks, wird auch in Zukunft seine Bedeutung haben.[2] Doch was ist mit dem Zeitalter der Gemeinde?
Neuer Bund:
Nun könnte man erwarten, dass die Urchristen einen fliessenden Übergang vom Levitischen System auf die Gemeinde vollzogen haben, doch das taten sie nicht. Der Kirchenvater, der sich dieser Problematik annahm war Cyprian von Karthargo († 258).
...Die Anweisung dieser Verordnung und frommen Verpflichtung haben einst unter dem Gesetze schon die Leviten eingehalten. Als daher die elf Stämme sich in das Land teilten und den Besitz zerlegten da erhielt der Stamm Levi, der den Tempel und den Altar und den Gottesdienst versah, nichts bei dieser Verteilung sondern, während die anderen das Land bebauten, sollte er nur Gott dienen und zu seinem Lebensunterhalt von den elf Stämmen den Zehnten von der jährlichen Ernte erhalten. Dies alles geschah nach dem Willen und der Anordnung Gottes, so dass sie, die mit göttlichen Diensten sich befassten, weder durch irgend etwas davon abgezogen noch genötigt wurden, Weltliches zu denken oder zu tun. Diese begründete Vorschrift gilt jetzt für den Klerus, so daß diejenigen, die in der Kirche des Herrn in eine höhere geistliche Würde eingesetzt werden, in nichts von ihrem göttlichen Amte sich abziehen lassen, um nicht in weltliche Händel und Geschäfte verwickelt zu werden, sondern um in der Ehrenspende der Brüder gleichsam den Zehnten von der Ernte zu erhalten und sich von dem Altar und dem Opferdienst nicht abzuwenden, sondern sich Tag und Nacht himmlischen und geistlichen Dingen zu widmen. (1. Brief, Kap. 1).
Cyprian bleibt mit seiner Forderung in der vorkonstantinischen Zeit allein. Von der Kirche wurde das alttestamentliche Zehntgebot nicht übernommen, auch nicht zu einer freiwilligen Zehntenleistung gemahnt [3]. In der Ostkirche finden sich seit ca. 380 Tendenzen, die Zehntgaben verpflichtend zu machen (→ Apostolische Konstitutionen), in der Westkirche erst ab dem 6.Jh. [4] Verbindlich wurde es im Frankenreich ab 585 an der Synode von Macon eingeführt (Ersatz zur Vasallenausstattung eingezogenen Kirchengutes) [5]. Bis zum 7. Jahrhundert finden sich fast keine Spur vom Zehnten in der Gemeinde. Ab dem 10. Jahrhundert war der Zehnte eine gesetzliche Abgabe zur Finanzierung der Staatskirche [6]. Geistliche erhielten in den ersten 3 Jahrhunderten keinen Lohn. Erst Kaiser Konstantin führte die Praxis der Bezahlung des Klerus ein. Doch bevor Kaiser Konstantin die urchristliche Gemeinde in seinen Staatsapparat übernommen und umfunktioniert hatte, war es unten den Ältesten der Gemeinde üblich, einen weltlichen Beruf nachzugehen. Paulus ist ein bekanntes Beispiel (Apg 18,3). Paulus hat von niemanden den Zehnten verlangt.
Gerne wird Abraham als Vorbild genommen um den Zehnten in der Gemeinde zu rechtfertigen. Doch ist dieses Beispiel übertragbar? Abraham gab den Zehnten seiner Beute freiwillig an Melchisedek (vgl. 1Mo 14,17-20). Ein einmaliger Vorgang der seine Beute betraf und nicht dem jährlichen Verdienst. Melchisedek wird im Hebräerbrief als Vorschattung auf Christus erwähnt, doch erhält er keinen einzigen Vers über das Gebot des Zehnten. [7]
Warum gibt es keine neutestamentliche Grundlage für den Zehnten? Mit dem Kommen des Messias sind wir alle Priester Gottes. Werdet auch ihr selbst, als lebendige Steine, aufgebaut, ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum (1. Petrus 2,5 vgl. Römer 12,2; Epheser 2,21-22; Hebräer 3,6). Die Mittlerschaft im Alten Bund wurde von Priestern übernommen. Jesus als der perfekte Mittler, schafft den direkten Zugang zu Gott JHWH. Durch Jesus dürfen wir zu Gott kommen, daher beten wir auch zum Vater JHWH im Namen Jesu Christi. Für die Heiden gibt es keine Priesterkaste, die finanziert werden müsste. Das Gemeindezeitalter kennt kein levitisches Priestertum. Dazu fehlt auch das Entscheidende, nämlich der Tempel in Jerusalem.
Konsequenzen:
Ich habe schon einige Predigten gehört, die von wundersamen Erfahrungen berichten, wo Menschen, die den Zehnten in der Gemeinde geben, von Gott gesegnet werden. Es wird indirekt als bindendes Gebot dargestellt. Gegenüber den Klerikern ist man jetzt in einer Schuld. Dies kann zur psychischen Belastung für Menschen werden, die finanziell mit weniger auskommen müssen. Andererseits kann es das Gewissen derer beruhigen, denen es nicht viel ausmacht. Es besteht zudem die Gefahr, dass man zu einem passiven Mitglied einer Gemeinschaft wird, man habe ja schliesslich "bezahlt".
Die bezahlten Theologen werden dann i.d.R. zur "One-Man-Show" oder "Mehr-Männer-System". Vom Prinzip her ist beides gleich. Der Pastor oder das Pastorenteam bereitet alles vor und die Vorstellung beginnt am Sonntag um 10 Uhr. In Hauskreisen funktioniert es ähnlich, nur dass das Ganze etwas übersichtlicher ist. Wie steht es in so einem System um die geistigen Gaben der Einzelnen? Wie soll jemand seine Gaben entwickeln, wenn es dafür Vollzeitler gibt? Es wird bewusst oder unbewusst eine Zweiklassen-Gemeinde entstehen. Die bezahlten Klerikalen auf der einen Seite und die Kirchgänger auf der anderen Seite.
Ein weiteres Problem des bezahlten Klerus ist seine (finanzielle) Abhängigkeit von der Gemeinde. Wer möchte schon gerne unangenehme Dinge ansprechen und zahlungskräftige Personen vergraulen? Es besteht die Gefahr von Schönwettergottesdiensten. Ein weiterer Punkt ist die biblische Lehre. Wer würde Änderungen in der Gemeinde einführen, wenn der ursprüngliche Glaube als Tradition erkannt wäre? Der bezahlte Kleriker muss immer abwägen, was dies finanziell für ihn bedeutet.
Hohe Gemeinkosten werden auch durch eigene Gebäude verursacht. Fragen sie mal in ihrer Gemeinde, wieviel Prozent jährlich dafür veranschlagt werden. Natürlich kann man im Neuen Testament nachprüfen, wieviele Gebäude Jesus oder Paulus gebaut haben. In den ersten drei Jahrhunderten des Neuen Bundes haben die Christen die Welt verändert, ohne ein Gebäude gebaut zu haben. Das Problem stellt nicht das Gebäude an sich dar, sondern das Binden von Ressourcen. Ein weiterer Punkt ist der Unterhalt von Gebäuden, welche oftmals nur mehrere Stunden wöchentlich genutzt werden. Diese Mittel fehlen für die Waisen, Witwen, Bedürftigen und für die Mission. Wir sehen, welche gravierenden Konsequenzen der Zehnte auf die Gemeinschaft des Neuen Bundes hat.
Schlussfolgerung:
Gemeinden die auf "Pastoralmodelle" aufbauen, werden immer mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Das Geld wird immer im Vordergrund stehen. Es hat auch nicht viel Sinn, dieses Modell zu kultivieren. Die Pastoren, welche versuchen dem entgegenzuwirken, sind selber Teil des Problems. Von ihnen ist keine urchristliche Lösung zu erwarten, sondern nur die Modifizierung des bestehenden Systems. Ihr aber, lasst ihr euch nicht Rabbi nennen; denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder (Matthäus 23,8). Erst dann kann die Gemeinschaft aufblühen. Funktioniert die Gemeinde wie von Gott gedacht, ist der Berufsklerus überflüssig. Alles andere ist der Versuch der Quadratur des Kreises.
Selbstverständlich braucht eine Gemeinde Geld. Doch hier kann etwas ganz gravierendes passieren. Versiegt der Geldfluss, können die Löhne nicht mehr bezahlt werden und die Gebäude nicht mehr finanziert werden. Es droht der Zusammenbruch des Systems, weil dieses System von regelmässigen Geldzuwendungen abhängig ist. Die Gemeinde wird zur Religion und verliert ihren ursprünglichen organischen Charakter. Es ist eine unbewusste Rückkehr zur Werkgerechtigkeit und missachtet die Führung durch den väterlichen Geist. Biblische Gemeindestrukturen, die ohne Immobilienbesitz und Arbeitsverträge auskommen, brauchen zu ihrer Selbstverwaltung nahezu kein Geld.[8] Jeder Christusnachfolger steht wie die christliche Gemeinde immer wieder vor der Frage, wie die Haushalterschaft in Freiheit und Verantwortung angesichts der angebrochenen Gottesherrschaft gelebt wird - zur Ehre Gottes, für die ungeteilte Verkündigung des Evangeliums, für das Wohl der Bedürftigen und Notleidenden.[9] Wenn die Gemeinde aufhört Personengemeinschaft zu sein, sondern immer mehr das Gesicht einer Unternehmung bekommt, ist der Zweck der Gemeinde gefährdet.
[1] Frank, Viola; George, Barna: Heidnisches Christentum? S. 212-213
[2] Christliche Ausleger tun sich schwer mit diesem Abschnitt (Hesekiel 40-48). Ein Punkt ist die endzeitliche Einordnung. Ein weiterer Punkt sind die 12 Stämme Israels, welche ihre Bedeutung auch in der messianischen Zeit behalten werden (vgl. Hesekiel 47,21-48,29). Manche halten die Wiederaufnahme des Opferdienstes für schwierig nachvollziehbar, gerade im Bezug auf Jesus.
[3] LThK: Band 10, S. 1320
[4] RGG4: S. 1794
[5] EKL Band 4: S. 1355
[6] Frank, Viola; George, Barna: Heidnisches Christentum? S. 216-217
[7] Daniel, Seidenberg: Königtum oder Gottesherrschaft. Über das Zehntengeben und die Unterordnung, S. 10 (→ PDF)
[8] Rudolf H. Edenharder: Der Zehnte in der Bibel und in Freikirchen, S. 170
[9] ELThG Band 3, S. 2201