Wie sollen wir beten?
Auf alle Fälle sollen unsere Gebete keine Kurzpredigten sein, in denen man Gott erzählt, was biblisch ist. Schlimm ist auch, wenn in Gottesdiensten, wo das freie Gebet Sitte ist, Beter laut beten, was ihrer Meinung nach der Pastor bewusst oder unbewusst nicht gepredigt hat.
Bei den alten Ägyptern war das Gebet eine magische Handlung, die nur Pharaonen und Priestern vorbehalten war. Bei den Babyloniern war das Gebet eine Beschwörungsformel und bei den Tibetanern verrichten die Gebetsmühlen das Beten.
Nur bei den Juden und später bei den Christen ist das Gebet eine Zwiesprache mit dem Schöpfergott. So heisst das hebräische Wort für Gebet "Tefilla" und bedeutet kurz gesagt "Erhebung in und Hingebung an Gottes Willen."
Die drei Gebetshaltungen der Juden, die von den Urchristen übernommen wurden, sind das Sich-Niederwerfen beim Anbeten "histahawa" (Hiob 1,20) und das Auf-die-Knie-Fallen "kara al-birkajim" (1. Könige 8,54), sowie das Gebet im Stehen mit gesenkten Haupt "nakad" (1. Mose 24,26). Das Erheben der Arme zu Gott taucht erstmals in 2. Mose 17,11 auf. Solange Moses Arme erhoben hielt, siegten die Israeliten. Als Moses die Arme erlahmten, hielten Aaron und Hur seine Arme hoch, damit die Israeliten siegen konnten.
Das Händefalten beim Beten ist im Alten Testament unbekannt, es kommt aus dem germanischen Kulturraum und hat mit dem Lehnseid zu tun, den der Vasall mit gefesselten Händen leisten musste. Auch die "Betenden Hände" a la Dürer finden wir nicht in der Bibel, was nicht heisst, dass es ausserbiblische Gebetshaltungen sind.
Erst nach der Zerstörung des ersten Tempels 587 v.Chr. setze sich das individuelle Gebet durch, denn im Tempel pflegte man das kollektive Gebet, das aber war nun nicht mehr möglich. So wurden die Psalmen für den Einzelnen zum Gebetsbuch. Das ist auch heute noch so. Im Autobus oder im Wartezimmer beim Arzt liest und betet man aus kleinen Büchern die Psalmen (Tehillim).
Vorrangig sind bitten um Gottes Beistand und Gnade (Psalm 51) oder beim Ringen der Seele in Anfechtung und Zweifel (Psalm 23 & 121) oder wir bringen unsere Ergebung und Demut vor Gott (Psalm 131). Im Grunde kann man die Gebete neben der grundsätzlichen Verherrlichung der Grösse und Allmacht Gottes wie folgt einteilen: Bittgebete, Bussgebete und Dankgebete.
In talmudischer Zeit, d.h. vor der Zeit vor Christus bis ins 5. Jh. n.Chr. nannte man das Beten "Gottesdienst des Herzens" (b.Ta'an.2a), denn "Gott liebt das Gebet der Frommen" (b.Jew.64a), "es darf aber nicht als ein abzuleistendes Pensum betrachtet werden, sondern muss aus inbrünstigen Herzen kommen" (Pirke Awot 11,18), denn "wenn ihr betet, seid euch immer bewusst, vor wem ihr steht" (b.Ber.28b). "Das Gebet soll dazu nicht nur in Andacht" (Tossefta Ber. 111,4), sondern darf auch "in religiöser Freundlichkeit geschehen" (b.Ber.31a) und darf nur an Gott und nicht an Engel oder andere Heilige gerichtet werden (j.Ber.13a & Joma 52a).
Juden schütteln im Gebet ihre Gefühle rückhaltlos aus. Sie scheuen sich dabei auch nicht, Gott Vorwürfe zu machen, siehe z.B. Jeremia 15,15ff. Ebenso ist nichts zu gering und nichts zu gross, als dass es nicht im Gebet vor Gott gebracht werden könnte. Das Danken für Gottes erfahrene Hilfe soll in der Öffentlichkeit geschehen, damit alle erfahren, dass Gott ein gnädiger und barmherzliger Gott ist, der uns gerne hilft.
Die Evangelisten berichten häufig vom Beten Jesu (z.B. Markus 1,35-38; 14,35ff; 15,34; Lukas 3,21; 6,12; 9,28). In den Gebeten Jesu steht nicht die Bitte im Vordergund, sondern das Einswerden mit dem Willen Gottes. Daher zog Jesus sich oft in die Stille zurück, um ungestört mit dem himmlischen Vater reden zu können. Damit bekundete er als Sohn Gottes seine unvergleichliche Nähe zu Gott, seinem Vater.
Als Jesu Jünger fragten, wie sie beten sollen, gab Jesus ihnen mit dem "Vater-Unser" (Lukas 11,2-4 & Matthäus 6,9-13) eine Gebetsanleitung, das zum normativen Modell christlichen Betens geworden ist. Im "Vater-Unser" wird deutlich, dass nicht Jesus der Adressat der christlichen Gebete ist, sondern allein Gott, der Vater, an den man sich "im Namen Jesu" wenden soll (Johannes 14,13f; 15,16; 16,23; Epheser 5,20). In Jesu Namen bitten heisst, unter Berufung auf die durch Jesus Christus und sein Heilswerk erschlossene Nähe zu Gott und in Einklang mir Seinem Willen zu beten.
Dass Jesus trotz seiner Gottessohnschaft Jude war, zeigt sich u.a. darin, dass das von ihm seinen gelehrte "Vater-Unser" mit all seinen Bitten und Gelöbnissen altjüdische Gebete sind, was bereits die Anrede "Vater-Unser" belegt (Seder Elij. 7) bis hin zur Schlussdoxologie, die aus der Tempelliturgie stammt - darum lasset uns beten!
von Ludwig Schneider in "Israel heute" Juni 2013, S. 17, www.israelheute.com
Mit freundlicher Genehmigung der Israel-Heute Redaktion.