Monismus, Dichotomie oder Trichotomie?
Ein wichtiges Thema ist die biblische Anthropologie. Was ist der Mensch? Das Verständnis des biblischen Menschenbildes ist wichtig um Fragestellungen der Soteriologie genauer zu untersuchen. Anders gesagt, ein falsches Menschenbild, führt auch zu falschen Schlussfolgerungen über das Heil.
Es gibt grundsätzlich drei verschiedene Auffassungen über die Anthropologie:
• Trichotomie (gr. trichotomía „Dreiteilung“, zu tricha „dreifach“ und tomē „Schnitt“)
• Dichotomie (gr. dichótomos „halbgeteilt“, „entzweigeschnitten“)
• Monismus (gr. monos „einzig“, „allein“, und -ismus, der Mensch ist eine unteilbare Einheit)
Es gibt noch eine vierte Variante. Die Moderne hat den gesichtslosen Massenmenschen hervorgebracht. Eine Art entpersonalisierter Mensch, der in seiner Eindimensionalität (Marcuse: Der eindimensionale Mensch) von den Medien, Politikern und der Industrie manipuliert wird. Eine Verblendungsmaschinerie (Umdeuten von Wörtern und Bedeutungen, Relativierung von Wahrheiten, bewusste Lügenverbreitung, begrenzte Meinungen etc.) produziert einen Einheitsbrei (u.a. die Einheitsreligion, z.B. der "Chrislam") und führt letztendlich in den Totalitarismus. Diese geistige Eindimensionalität finden wir auch in gewissen kirchlichen Kreisen. Sie lesen nur ihre eigene Literatur, führen dort aber lebhafte Debatten im Irrglauben, sich tatsächlich weiter zu entwickeln. Der offene und forschende Geist des Menschen droht zu verkümmern. Die Depersonalisierung führt am Ende zum totalen Ichzerfall.
Der schlaueste Weg, Menschen passiv und folgsam zu halten, ist, das Spektrum akzeptierter Meinungen strikt zu limitieren, aber innerhalb dieses Spektrums sehr lebhafte Debatten zu erlauben. (Noam Chomsky)
TRICHOTOMIE
Platon, Aristoteles und andere griechische Philosophen lehrten die Trichotomie. Das bedeutet, der Mensch besteht aus Geist, Seele und Leib. Dabei wird der Leib als Kerker der Seele verstanden (Platon: Cratyl. 400; Phaedr. 247 C, 250).
Bei Platon hat die Seele einen göttlichen Ursprung. Für ihn ist die Seele unsterblich, leider haben viele Gläubige diese Vorstellung übernommen. Zur Zeit Jesu wurde diese griechische Anschauung durch die Gnostiker verstärkt. Es ist daher kein Zufall, dass die Gnostiker die Meinung vertraten, dass der Geist der göttliche Teil des Menschen sei. Die Abwertung des Leibes (platonisch-aristotelische Menschenbild) dringt in der Antike in die christliche Anthropologie ein. Diese dualistischen Vorstellungen sind nicht Teil des biblischen Menschenbildes.
Vorreiter solcher unbiblischen Vorstellungen ist Origenes (†254).
Ohne Zweifel, wenn alle Körper zu der sichtbaren Welt gehören, die der Apostel das Sichtbare nennt, wird das Leben der Geister körperlos seyn müssen. Denn, wenn die Materie auch noch so sehr gereinigt und vergeistig wird, so wird sie doch immer der Gottähnlichkeit oder dem Einswerden mit Gott widerstreben; weil die Körper-Natur dem göttlichen Wesen, das an sich unkörperlich ist, nie gleichgesetzt werden kann. Auch den andern Ausspruch desselben Apostels: „alle Kreatur wird befreit werden von dem Dienste der Vergänglichkeit zur Freiheit der Kinder Gottes“ verstehen wir so, daß wir all die ursprüngliche Schöpfung der geistigen, unkörperlichen Wesen die annehmen, die der Vergänglichkeit nicht unterworfen ist, eben weil sie nicht in Körper eingekleidet war; überall aber, wo Körper sind, folgt sogleich auch die Vergänglichkeit. Von dem Dienste der Vergänglichkeit aber werden sie befreit werden, nachdem sie wieder zu Herrlichkeit der Kinder Gottes gelangt sind. Die Vollendung aller Dinge als etwas Unkörperliches anzunehmen, nötigt uns auch jenes Gebet des Heilandes, in welchem er sagt: „gleichwie wir Eines sind, daß auch sie Eines seien in uns.“
(Origenes: De principiis. Drittes Buch. Fünfter Abschnitt. Vom Ende der Welt)
Ein weiterer bekannter Vertreter ist Gregor von Nazianz (†390).
Ich behandle ihn mit Nachsicht, da er mein Genosse ist. Aber ich weiß nicht, wie ich seinen Angriffen entgehen kann oder wie ich, wenn ich, von seinen Fesseln beschwert, niedergedrückt oder auf dem Boden niedergehalten werde, es machen soll, um nicht von Gott abzufallen. Der Körper ist ein freundlicher Feind und ein feindlicher Freund. Man fühlt sich verbunden und abgestoßen. Was ich fürchte, umarme ich, und was ich liebe, fürchte ich. Noch ehe ich den Kampf beginne, versöhne ich mich; noch ehe ich Frieden schließe, beginne ich die Feindschaft. Was will die Weisheit mit mir? Was für ein großes Geheimnis beobachten wir hier? (Gregor v. Nazianz - Reden Kap. XIV.)
Die griechisch-orthodoxe Kirche übernahm die Vorstellung, dass der Mensch aus Körper-Geist und Seele bestehe. Wobei der Leib, wie bei den griechischen Philosophen abgewertet wurde.
Auch in der jüngsten Zeit hat es viele Vertreter dieser philosophischen Anschauungen, u.a. John Wesley (†1791), Franz Julius Delitzsch († 1890, alt. Exeget), Gustav Freidlich Oehler (†1872, luth. Theologe, Prof. für AT), Oswald Chamber (Biblical Psychology), Lewis Sperry Chafer (ehem. Prof. am Dallas Theological Seminary), Watchman Nee (†1972), Werner Gitt (in seinem Buch: Faszination Mensch).
Geist und Seele fügen die Vertreter der Trichonometrie gewissen Eigenschaften zu:
• Geist: Verstand, Denken, Erkenntnis, Ideenreichtum ...
• Seele: Ego, Wille, Verstand, Gefühle, Triebe ...
Diese Definitionen stammen meistens aus dem Empfinden, das von der griechischen Philosophie geprägt ist. Besonders im Evangelikalen Raum ist man sich oft nicht bewusst, wie sehr die Trichonometrie mit der griechischen Philosophie und den Kirchenvätern verzahnt ist (vgl. Kol 2,8).
Wie bei der Trinität oder anderen philosophischen Konzepten, benötigt man auch hier einen "biblischen" Überbau. Die Schlüsselverse sind folgende:
Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. (1. Thessalonicher 5,23)
Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens. (Hebräer 4,12)
Die Scofield Bibel schreibt zu 1Thess 5,23 in ihrer Fussnote, dass die Worte Seele und Geist manchmal ohne Unterschied gebraucht werden können.
Das Problem bei solchen Theorien ist immer, dass man sich auf den gesamten Text stützen muss und nicht seine Theorien aus ein bis zwei Versen ableiten sollte. Paulus entfaltet keine neue Anthropologie, sondern wünscht den Gläubigen, dass sie in 1Thess 5,23 von Irrlehren bewahrt werden mögen. In Hebr 4,12 geht es um Gottes Wort, das unser ganzes Menschsein im richtenden Sinn durchdringt. Daher wird auch von den Gelenken, Mark und dem Herz gesprochen. Der Hebräerbrief benutzt somit zentrale Ausdrücke des inneren Menschen wie Seele, Geist & Herz.
DICHOTOMIE
Ausgangspunkt ist der Riss im Menschen, der durch die Sünde erfolgte. Der Leib stirbt, doch der innere Mensch (Geist, Seele) lebt nach dem Tod weiter. Die Reformatoren vertraten eine (bedingte) Dichotomie. Die Aufspaltung des Menschen ist für die Sündenzeit begrenzt. Nach der Auferstehung ist der Mensch wieder eine Einheit.
MONISMUS
Das Alte und das Neue Testament lehren, dass der Mensch eine von Gott geschaffene Einheit ist. Obwohl er Staub (Afar, 1. Mose 3,19; Ps 104,29) ist, trägt er den Lebensodem und den Geist Gottes in sich.
Und JHWH Gott bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele. Und JHWH Gott pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten, und er setzte dorthin den Menschen, den ER gebildet hatte. (1. Mose 2,7-8)
So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Seele bitter gemacht hat, so lange mein Odem in mir ist, und der Hauch Gottes in meiner Nase (Hiob 27,2-3)
Die Gottesebenbildlichkeit (1. Mose 1,26) blieb dem Menschen auch nach dem Sündenfall erhalten (1. Mose 5,1-3; 9,6). Daher ist der Mensch auch nach dem Sündenfall eine Einheit.
Der ganze Mensch ist von der Sünde durchdrungen. Daher ist auch der ganze Mensch erlösungsbedürftig.
Das menschliche Herz war vor der Flut böse (vgl. 1. Mose 6:5) und auch nach der Flut.
Und JHWH roch den lieblichen Geruch, und JHWH sprach in seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht mehr will ich hinfort alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe. (1. Mose 8:21)
Das Neue Testament unterscheidet zwischen dem inneren und äusseren Menschen. Der innere Mensch erfährt nach der Bekehrung eine geistliche Wiedergeburt. Diese Transformation findet ihre Vollendung in dem Herrlichkeitsleib mit der Auferstehung oder Entrückung (vgl. Römer 8,23; 1Thess 4,13-18).
Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; (Römer 7,12)
Ich sage aber: Wandelt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt, auf daß ihr nicht das tuet, was ihr wollt. (Galater 5,16-17)
Deshalb ermatten wir nicht, sondern wenn auch unser äusserer Mensch verfällt, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert. (2. Korinther 4,16)
auf dass er euch gebe, nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen; (Epheser 3,16)
Die Bibel sieht den Menschen als Einheit. Es ist daher angemessener von dem inneren und dem äusseren Menschen zu sprechen. Der innere Mensch, der vom Geist Gottes erneuert wird, steht für das neue Herz.
Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden. (2. Korinther 5,17)
Diese Verheissung wurde schon vor langer Zeit angekündigt.
Siehe, Tage kommen, spricht JHWH, da ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen werde: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern gemacht habe an dem Tage, da ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Lande Ägypten herauszuführen, welchen meinen Bund sie gebrochen haben; und doch hatte ich mich mit ihnen vermählt, spricht JHWH. Sondern dies ist der Bund, den ich mit dem Hause Israel machen werde nach jenen Tagen, spricht JHWH: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben; und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein. (Jeremia 31,31-33; vgl. Hebräer 8,8-12)
Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von allen euren Unreinigkeiten und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleische wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, daß ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Rechte bewahret und tut. (Hesekiel 36,25-27)
Ein zentraler biblischer Aspekt ist das Herz. In den Leib, Seele, Geist Konzepten wird dem nicht Rechnung getragen. Die griechischen Philosophen haben diesen entscheidenden Punkt ausser Acht gelassen.
Der Ausdruck Herz (Strong's Hebrew Nr. 3820: leb 593 mal / Strong's Hebrew Nr. 3824: lebab 252 mal / Strong's Greek Nr. 2588: kardia 158 mal) ist die typische Beschreibung des Menschen. In der Bibel bestimmt das Herz das Dasein des Menschen. Zuerst kommt das Herz, dann auch Geist, Seele, Nieren, Eingeweide und der Leib. Das Herz ist unserer innerstes schlechthin.
Das Herz ist das innerste des Menschen. Es ist der Ort der Gottesverehrung. Es macht den Menschen zum Menschen oder zum Unmenschen. Fürchtet JHWH und dient ihm mit eurem ganzen Herzen (1Sam 12,24), JHWH sieht auf das Herz (1Sam 16,7), Gott erkennt die Geheimnisse des Herzens (Ps 44,21). Er ist der Herzenskenner (Apg 15,8) und rät uns unser Herz zu behüten (Spr 4,23).
Salomo wünschte sich ein gehorsames, weises und verständiges Herz (1Kö 3,9.12). Das Herz ist das Zentrum unseres Willens, der Sitz der Entscheidungen und auch der Bosheit und Arglistigkeit (1Mo 6,5; Jer 17,9). Weil vom Herz das Verderben ausgeht, beginnt JHWH mit der Erlösung ebenfalls in unserem innersten, in unserem Herzen (5Mo 30,6; Jer 4,4; Jer 24,7; Röm 2,29).
Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit; auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, ohne daß der Mensch das Werk, welches Gott gewirkt hat, von Anfang bis zu Ende zu erfassen vermag. (Prediger 3,11)
SCHWIERIGE VERSE
Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg. (1. Mose 5,24)
Und es geschah, als JHWH den Elia im Sturmwinde gen Himmel auffahren liess, da gingen Elia und Elisa von Gilgal hinweg. ... Und es geschah, während sie gingen und im Gehen redeten, siehe da, ein Wagen von Feuer und Rosse von Feuer, welche sie beide voneinander trennten; und Elia fuhr im Sturmwind auf gen Himmel. (2. Könige 2,1+11)
Henoch und Elia werden gerne als Beispiele genommen, um aufzuzeigen, dass sie nicht starben, sondern lebend bei Gott sind.
Henoch wurde einfach hinweg genommen (heb. laqach). Henoch gefiel dem Herrn wohl, und ist weggenommen, dass er der Welt eine Vermahnung zur Buße wäre. (Sirach 44,16). Das er lebend im Himmel ist, wird nirgendwo belegt.
Das Jahr, in dem Elia hochgehoben und in einem Wirbelwind getragen wurde, war 852 v. Chr. Dies war das Jahr, als Joram von Israel(Sohn Ahabs) begann, über das nördliche Gebiet von Israel zu herrschen (2Kön 1,17; 3,1). Er war König von Israel etwa 852–841 v. Chr. und der letzte König der Dynastie Omri. Elia wurde entrückt (2Kö 2:1,11). Joram von Juda wandte sich dem Götzendienst zu (2Chr 21,11). Im Jahre 842 v. Chr. und somit zehn Jahre nach Elias Entrückung, erhielt Joram von Juda einen Brief von Elia (2Chr 21,12-15). Elia lebte somit noch mindestens zehn Jahre, nachdem er aus Israel entrückt wurde. Elia ist nicht in den Himmel aufgestiegen und erlangte Unsterblichkeit. Er wurde durch den Geist Gottes zu einem unbekannten Ort getragen, wo er lebte und JHWH weiterhin diente. Zehn Jahre vergingen, bevor er die Prophetie über Joram von Juda aussprach. Er starb schliesslich im Glauben, wie alle Propheten (Hebr 11,32, 39-40) und er schläft jetzt, bis der Messias zurückkehrt
und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiss [wie Schnee], wie kein Walker auf der Erde weiss machen kann. Und es erschien ihnen Elias mit Moses, und sie unterredeten sich mit Jesu. (Markus 9,3-4)
Es erschienen Moses und Elia zusammen mit Jesus. Das Ereignis wird als eine Vision beschrieben (Mt 17,9) und wie die Vision des Johannes von unerfüllten Ereignissen in dem Buch der Offenbarung, so kann dies nicht als eine Beschreibung des wirklichen Überlebens von Moses und Eliah verstanden werden. Es kann kaum sein, dass sie zur Unsterblichkeit vor Jesus auferweckt wurden.
Und als er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, an Füssen und Händen mit Grabtüchern gebunden, und sein Gesicht war mit einem Schweisstuch umbunden. Jesus spricht zu ihnen: Löset ihn auf und lasst ihn gehen. (Johannes 11,43-44)
Lazarus war tot. Der Lebensodem JHWHs wurde ihm wieder eingehaucht. Doch er hatte keinen Herrlichkeitsleib und starb später eines normalen Todes. Auch er wird Auferstehen, wenn der Messias kommt.
Und er rief zu JHWH und sprach: JHWH, mein Gott, hast du gar an der Witwe, bei der ich mich aufhalte, übel getan, ihren Sohn zu töten? Und er streckte sich dreimal über das Kind, und rief zu JHWH und sprach: JHWH, mein Gott, lass doch die Seele dieses Kindes wieder in dasselbe zurückkehren! Und JHWH hörte auf die Stimme Elias, und die Seele [nephesh] des Kindes kehrte wieder in dasselbe zurück, und es wurde lebendig. (1. Könige 17,20-22)
Das gleiche gilt für das Kind im Fall von Elia. Das Kind wurde wieder zum Leben erweckt und starb später einen natürlichen Tod.
Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoss. Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine grosse Kluft befestigt, daß die wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren. (Lukas 16,23-26)
Die Pharisäer hatten den sheol/hades in zwei Abteilungen eingeteilt. Die Gerechten werden „in Abrahams Schoss“ aufgenommen und die Bösen erleiden „Flüche, Geissel und Folterungen“ (1. Henoch 22,9-13). Es gibt zwei klare Kontaktpunkte zwischen der Sprache des Gleichnisses in Lukas und die Lehre der Pharisäer. Obwohl sich das Gleichnis der Sprache bedient, besagt es nirgendwo ausdrücklich, dass die Szenen, die Belohnung und Strafe in den Versen 23–26 beschreiben, vor der Auferstehung geschehen. Wenn denn die Geschichte dem platonischen System eines sofortigen Überlebens beim Tode entsprechen mag, so ist es äusserst wichtig, dass Lazarus und der reiche Mann nicht als körperlose Seelen oder Geister beschrieben werden.
Und Jesus sprach zu ihm [dem Übeltäter]: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. (Lukas 23,43)
Die Lösung des Problems, das durch Jesu Versprechen dem Übeltäter gegenüber entsteht, mag in der Zeichensetzung von Lukas 23,43 liegen. George R. Berry, Herausgeber der Interlinear Literal Translation, schrieb: „Es gibt nirgendwo im griechischen Text eine Befugnis für die Zeichensetzung.“ Das griechische Adverb, das hier mit „heute“ wiedergegeben wird, erscheint in der LXX und im Neuen Testament 221-mal. In 170 von diesen Vorkommen folgt das Adverb dem Verb, das es näher bestimmt und begleitet oft Äußerungen von grosser Feierlichkeit: So finden wir im Alten Testament: „Ich sage dir heute“; „Ich bezeuge dir heute.“ Beispiele können auch in 5. Mose 6,6; 8,11; 10,13; 11,8,17,23; 13,8; 19,9; 27,4; 31,2 gefunden werden. Es ist daher nicht unnatürlich, dass wir die Zeichensetzung in Lukas 23,43 wie folgt vornehmen: „Wahrlich ich sage dir heute, du wirst mit mir im Paradiese sein.“ Das Neue Testament übersetzt von Wilhelm Michaelis, Kröner Verlag, 1934, schreibt: „Jesus sagte zu ihm, ‚wahrlich ich versichere dir genau heute: Du wirst eines Tages mit mir im Paradies sein’.“
Darum, als er in die Welt kommt, spricht er: "Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet; (Hebräer 10,5)
Dieser Text im Hebräerbrief ist eine Anspielung auf Psalm 40,6. Dort heisst es: An Schlacht- und Speisopfern hattest du keine Lust; Ohren hast du mir bereitet: Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert. Der Messias opfert sich als Ganzes und nicht nur seinen Leib (Hebr 9,26). Die Körperlosigkeit ist eine Vorstellung der Hellenisten und Gnostiker. Auch wir sollen unsere Leiber darstellen zu einem vernünftigen Dienst (Römer 12,1), womit selbstverständlich wir als Ganzes gemeint sind. Auch Hiob war kein präexistentes körperloses Wesen, wenn er schreibt: Mit Haut und Fleisch hast du mich bekleidet, und mit Knochen und Sehnen mich durchflochten. (Hiob 10,11)
SCHLUSSFOLGERUNG
Die Körperlosigkeit im Jenseits ist eine Vorstellung der Hellenisten und Gnostiker. Gott wird unsere sterblichen Leiber lebendig machen (Römer 8,11). Der Leib ist eine kostbare Gabe Gottes. Es ist ein Wunderwerk JHWH's. In der Bibel finden wir diesen Widerspruch zwischen Leib und Geist nicht. Herz, Seele und Geist sind weitestgehend synonyme Begriffe. Herz, Geist, Seele, Nieren, Eingeweide und Leib sind ein Ganzes, auch wenn wir verschiedene Aspekte erkennen können.
Gott gibt den Odem des Lebens (1. Mose 2,7-8) und Gott nimmt sich auch den Odem des Lebens. So wie JHWH das Leben einhaucht, so haucht er es auch wieder aus.
Denn Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren! (1. Mose 3,19b)
und der Staub zur Erde zurückkehrt, so wie er gewesen, und der Geist zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat. (Prediger 12,7)
Wenn er sein Herz nur auf sich selbst richtete, seinen Geist und seinen Odem an sich zurückzöge, so würde alles Fleisch insgesamt verscheiden, und der Mensch zum Staube zurückkehren. (Hiob 34,14-15)
Du verbirgst dein Angesicht: sie erschrecken; du nimmst ihren Odem hinweg: sie hauchen aus und kehren zurück zu ihrem Staube. (Psalm 104,29)
Siehe, alle Seelen sind mein; wie die Seele des Vaters, so auch die Seele des Sohnes: Sie sind mein; die Seele, welche sündigt, die soll sterben. (Hesekiel 18,4, vgl. 18,20a)
Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; (1. Mose 6,3a)
Sobald JHWH seinen nefesh zurückzieht, ist es aus mit dem Menschen. Der Mensch kann nicht getrennt von seinem nefesh existieren. Als JHWH dem Satan erlaubte Hiob's Gebein und Fleisch anzutasten, so befahl er zugleich die Grenze: "Bewahre sein nefesh." Bewahre sein nacktes Leben (Hiob 2,6).
Und es geschah, als ihre Seele ausging (denn sie starb), da gab sie ihm den Namen Benoni; sein Vater aber nannte ihn Benjamin. (1. Mose 35,18)
JHWH! du hast meine Seele aus dem Scheol heraufgeführt, hast mich belebt aus denen, die in die Grube hinabfahren. (Psalm 30,3; vgl. 86,13)
Anschaulich erbittet Abigail für David. Der Beutel [tsrowr] des Lebens schützt vor dem Verlust des nefesh.
Und ein Mensch ist aufgestanden, dich zu verfolgen und nach deiner Seele [nefesh] zu trachten; aber die Seele meines Herrn [David]wird eingebunden sein in das Bündel [Beutel - tsrowr] der Lebendigen bei JHWH, deinem Gott; und die Seele [nefesh] deiner Feinde, die wird er wegschleudern in der Pfanne der Schleuder. (1. Samuel 25,29)
Der Zustand der Toten im sheol/hades wird in der Schrift einheitlich als ein Zustand des Schlafes beschrieben. Sheol ist kein Ort der Folter, denn er enthält sowohl die Bösen als auch die Treuen. Das hebräische Wort shachav („Schlaf“) erscheint wieder und wieder im bekannten Ausdruck, dass einer der starb, „mit seinen Vätern schlafen würde“ (1Kö 2,10). Das heisst, er gesellt sich zu seinen Vorfahren, die schon schliefen. Von diesem sehr deutlichen Ausdruck weit entfernt ist unsere populäre Sprache über den Tod als „Weiterschreiten“ oder „Heim gehen“. Wir lernen, dass der Tod Ruhe im Unbewusstsein bedeutet. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die wirkliche Person nicht entschlafen ist, sondern irgendwo anders als Geist weiterlebt! Im Psalm 6,6 entdecken wir, dass „es im Tode keine Erinnerung an Gott gibt“; aus Prediger 9,5, dass die „Toten gar nichts wissen.“ Psalm 13,4 spricht von dem Todesschlaf und Psalm 146,4 beschreibt den Prozess des Todes ganz besonders: „ ... an dem Tage sind alle seine Vorhaben vernichtet.“ Denn „die Toten rühmen den HERRN nicht und keiner, der zur Stille hinabfährt“ (Ps 115,17).
Die hebräische Anthropologie ist kein Dualismus (wie z.B. bei Platon), sondern ganzheitlicher Monismus, d.h. der Mensch ist eine unteilbare Einheit. Der Mensch hat nicht eine Seele, er ist eine Seele! Stirbt der Mensch, stirbt die „Seele“. Der Mensch kann nicht getrennt vom Körper existieren. Von unbegrenzter Dauer ist nicht die individuelle Seele, sondern die schöpferische Kraft Gottes, der Odem des Lebens!
Literatur:
Buzzard, Anthony: What Happens When We Die?
Pöhlmann, Horst Georg: Abriss der Dogmatik.
Uhlmann, Peter: Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Biblische Anthropologie und die Macht des Bösen.
Wolff, Hans Walter: Anthropologie des Alten Testamentes.