Ist Jesus in den anderen Paulusbriefen GOTT?
(Is Jesus God in Other Pauline Texts?) Von Servetus the Evangelical
Die meisten trinitarischen Neutestamentler zitieren aus den Briefen von Paulus nur die folgenden Stellen, um ihren Glauben, dass Jesus GOTT ist, zu unterstützen: Röm 9, 5; Phil 2, 6- 11; 1. Tim 2, 5 und Titus 2, 13. Einige wenige beziehen auch noch andere Stellen von geringerer Bedeutung mit ein. Viele Christen glauben, dass 2. Kor 8, 9 auf die Inkarnation schließen lässt. Dort heißt es: „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“Die gängige Auslegung von 2. Kor 8, 9 sagt: „Reich“ bedeutet, dass Jesus im Himmel als eine GOTT, dem Vater, gleichrangige Person präexistiert hat und „arm“ und „Armut“ weisen darauf hin, dass er bei seiner Inkarnation diese Stellung aufgegeben hat. Karl-Josef Kuschel stellt fest: „Die traditionelle Exegese hat diese Stelle immer im Sinne einer Präexistenz-Christologie und Inkarnation interpretiert, so wie es die heutigen Exegeten quer durch alle konfessionellen Lager auch tun.“
James Dunn und Maurice Casey behaupten, dass diese Stelle nur etwas mit einer Adam-Christologie zu tun hat. Dunn sagt über 2. Kor 8, 9 und Phil 2, 6-8: „Obwohl Jesus den Reichtum einer ununterbrochenen Gemeinschaft mit GOTT hätte genießen können, hat er sich freiwillig dazu entschieden, die Armut der Distanz Adams zu GOTT auf sich zu nehmen, - während seines ganzen Dienstes, vor allem aber bei seinem Tod, - damit wir in das volle Erbe eintreten können, das zuerst Adam zugedacht war.“ John Macquarrie sagt hierzu: „Dunns Interpretation erlaubt es uns, die durchgängige Christologie von Paulus viel einheitlicher zu sehen, als wir sie sonst sehen würde.“
Fast nur unter Bibelkundlern ist die recht dürftig belegte Handschriftenvariante von Gal 2, 20 bekannt. In den meisten Übersetzungen heißt es hier: „der Sohn GOTTES“. Diese gerade genannte Variante müsste mit „der Gott und Christus“ übersetzen werden, so als ob Christus GOTT ist. Unter den Textkritikern herrscht aber Übereinstimmung, dass diese Variante wohl wegen eines simplen Fehlers eines Kopisten beim Abschreiben entstanden ist.
In Eph 5, 5 heißt es: „Das Reich Christi und GOTTES”. Im 19. Jahrhundert haben einige wenige Theologen gemeint, dass man den zugrundeliegenden griechischen Text mit „Das Reich Christi, der GOTT ist“ übersetzen könne. Die heutige übereinstimmende Meinung widerspricht dieser Vorstellung, mit der Folge, dass diese Variante in neueren Übersetzungen nicht mehr zu finden ist. Die zugrundeliegenden Worte sagen, dass das Reich beiden gehört, GOTT, dem Vater, und Christus.
Trinitarier behaupten üblicherweise, dass „die Fülle“, die in Christus wohnt, bedeutet, dass er GOTT ist. Paulus schreibt: „Denn es hat GOTT [d.h. der Vater; V. 12] wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte“ (Kol 1, 19-Luth 84). Und später erklärt er: „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2, 9). Diese Trinitarier behaupten auch, dass die Fülle sich auf alle göttlichen Eigenschaften GOTTES bezieht und dass Paulus damit faktisch Jesus vollumfänglich als GOTT identifiziert hat. Aber das Gegenteil ist der Fall. Diese Fülle bezieht sich auf die vollständige Selbstoffenbarung GOTTES der Menschheit gegenüber. Paulus meint also, dass Jesus GOTT vollkommen offenbart hat und nicht, dass Jesus GOTT ist. Der Verfasser des Johannesevangeliums weist auf die gleiche Tatsache hin, wenn er erklärt, dass Jesus „voller Gnade und Wahrheit“ gewesen ist und dass wir „aus seiner Fülle alle empfangen haben, und zwar Gnade um Gnade“ (Joh 1, 14+16).
Beide Schreiber sind darum bemüht gewesen, von dieser Fülle in Christus zu erzählen, weil sie gegen den frühen Gnostizismus zu kämpfen hatten. Dessen Vertreter haben behauptet, dass die pleroma (gr. „Fülle“) wegen der Transzendenz GOTTES aus einer Vielzahl von aeonen besteht, was hauptsächlich Engel oder Geister sein sollen, die als Mittler zwischen GOTT und den Menschen dienen. Deshalb sei Christus nur einer dieser aeonen gewesen, der nur einen kleinen Anteil an der Fülle GOTTES besitzt. Paulus und Johannes haben sich dieser Vorstellung widersetzt, indem sie verkündet haben, dass die ganze Fülle GOTTES in Christus wohnt. Paulus hat geschrieben, dass in Christus „alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind“ (Kol 2, 3). Paulus hat sich gegen eine synkretistische Religion gewandt, die in Kolossä vorgeherrscht hat und somit auch in die Gemeinde eingedrungen ist. Diese Religion ist eine Mischung aus jüdischen Ritualen, asketischen Verhaltensweisen auf Grund des platonischen Dualismus, Anbetung astraler Mächte und einiger anderer aufkommender gnostischer Glaubensvorstellungen gewesen, die auch mit der Identität Jesu zu tun hatten. In seinem gegen sie gerichteten Kampf hat Paulus nur sagen wollen, dass „GOTT in Christus“ in einer alles umfassenden Vollkommenheit gewesen ist (2. Kor 5, 19) und nicht, dass Christus GOTT ist.
Viele trinitarische Neutestamentler zitieren 2. Thess 1, 12, Titus 2, 13 und 2. Petr 1, 1 als grammatikalisch ähnliche Texte, die Jesus als GOTT identifizieren. Alle drei Stellen haben ein syntaktisches (in der Wortreihenfolge bestehendes) Problem, aus der sich eine gewisse Mehrdeutigkeit ergibt. Viele dieser Gelehrten zitieren Titus 2, 13, um damit zu untermauern, dass Jesus GOTT ist, allerdings lehnen sie das für die Aussage der beiden anderen Stellen ab. In fast allen neueren Bibelübersetzungen ist diese kritische Wortreihenfolge in 2. Thess 1, 12 wie folgt übersetzt worden: „die Gnade unseres GOTTES und des Herrn Jesus Christus“; also in der „zwei Personen-Sicht“ – GOTT, der Vater, und Jesus. In der New American Bible, der bekanntesten Übersetzung für Katholiken, heißt es aber: „die Gnade unseres GOTTES und Herrn Jesus Christus“; sie identifiziert Jesus also als GOTT [dito in Einh.Ü]. Paulus hat an dieser Stelle aber sehr wahrscheinlich auch das gemeint, was er zwei Mal in der Grußformel dieses Briefes geschrieben hat: „GOTT, unser Vater, und der Herr Jesus Christus“ (V. 1+2).
Raymond E. Brown, einer der anerkanntesten katholischen Neutestamentler aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat bezüglich dieser Worte gesagt: „Die meisten Ausleger akzeptieren diese Unterscheidung [zwischen dem Vater und Jesus] und der neuste und umfassendste katholische Kommentar sagt, dass diese Unterscheidung akzeptiert werden muss. Dieser Vers kann also nicht als Beispiel für die Verwendung der Bezeichnung ‚GOTT‘ für Jesus herangezogen werden.“
Gelehrte behaupten, dass die sechs poetischen Strophen (Zeilen) in 1. Tim 3, 16 aus einem vorpaulinischen Christushymnus stammen und sich, in chronologischer Reihenfolge geordnet, auf die wichtigsten Ereignisse im Leben Jesu beziehen. Frühere Trinitarier sind der Auffassung gewesen, dass Jesus in der ersten Strophe des griechischen Texts GOTT genannt wird. In der King James Version wurde sie deshalb so übersetzt: „GOTT wurde offenbart im Fleisch“ [auch in Luth 1912, Elbf 1906, Schlachter]. Allerdings ist der Handschriftenbeweis für theos („GOTT“) schwach und für hos („der“) oder ho („er“) stark. Aus diesem Grund steht in den vier neueren, führenden griechischen Neuen Testamenten hos, so dass es in fast allen Übersetzungen aus neuerer Zeit heißt: „Er“ oder „Er, der“. Paulus hat ganz sicher nicht „GOTT“ schreiben können, weil er in diesem Brief geschrieben hat, dass GOTT unsichtbar ist (1. Tim 1, 17; 6, 16). Der Trinitarier und Textkritiker Bruce Metzger erklärt, dass theos entweder ein harmloser Abschreibfehler, eine Interpretation dieser sechs Strophen oder eine Anmerkung zur Unterstützung der trinitarischen Lehre sein kann.
Dieser Artikel stammt von Kermit Zarley (Servetus the Evangelical). Auf seiner Webseite – servetustheevangelical.com – kann man 50 solcher Artikel in englischer Sprache lesen. Sie sind eine Zusammenfassung seines sorgfältig recherchierten, biblisch in die Tiefe gehenden, 600-seitigen Buches mit dem Titel: The Restitution of Jesus Christ (2008)