Ist Jesus in Apostelgeschichte 20,28 GOTT?
(Is Jesus God in Acts 20. 28?) Von Servetus the Evangelical
Die Kirchenväter haben zur Unterstützung ihres Glaubens, dass Jesus GOTT ist, sehr häufig Apg 20, 28 als wichtigen neutestamentlichen Text angeführt. Einige traditionalistisch eingestellte Christen tun das heute immer noch; aber in neuerer Zeit greifen ihre geistlichen Lehrer nicht mehr auf diese Stelle als Unterstützung für die Gottheit Christi zurück.
Lukas berichtet, dass der Apostel Paulus nach Jerusalem gereist ist, wobei er unterwegs noch die Ältesten der Gemeinde in Ephesus aufgesucht hat. Zu ihnen hat er gesagt: „So habt nun Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde GOTTES, die ER durch Sein eigenes Blut erworben hat“ (Apg 20, 28 – Luth 1984).
Aus diesem Vers ergeben sich bezüglich der Identität Jesu drei Probleme. Zwei haben mit der Frage nach dem richtigen griechischen Text zu tun und das Dritte ist ein grammatikalisches Problem. Das erste inhaltliche Problem in Apg 20, 28 hat damit zu tun, dass die vorliegenden griechischen Handschriften (MSS) in einem bestimmten Wort nicht übereinstimmen und damit den Vers zu einem Thema der Textkritik machen. Die Frage ist, ob in dem griechischen Text das Wort theou (gr. „GOTT“) oder das Wort kuriou (gr. „Herr“) stehen sollte. Wie die folgende Übersicht zeigt, favorisieren unsere Übersetzungen das Wort theou deutlich:
• Die Gemeinde GOTTES (AV, RVmg, RSV, NASB, TEV, JB, NEBmg, NIV, ESV; Deutsche Übersetzungen: Luth 84; Elberf. (mit Fußnote); HfA; Schlachter 2000; NGÜ; Einh.; NeÜ; Zürcher)
• Gemeinde des Herrn (RV, RSVmg, NASBmg, NEB, NIVmg; Deutschsprachige ÜberSetzungen: Menge)
Die Beweise aus den Handschriften und auch aus externen Zeugen, womit Zitierungen dieses Verses in patristischen Schriften gemeint sind, sind bezüglich dieses Themas ebenso geteilt, wie die folgende Aufstellung zeigt:
• ten ekklesia tou theou (Codex Vaticanus, Codex Sinaiticus, auch in der Vulgata)
• ten ekklesian tou kuriou (Codex Alexandrinus, Codex Bezae, auch in einigen anderen Übersetzungen).
Im Ganzen gesehen scheint die Textkritik unterschiedlicher Meinung zu sein, welche dieser beiden jeweils gut belegten Lesarten in dem handschriftlichen Beweis, als die ursprüngliche angesehen werden soll. Der Ausschuss für das von der UBS (Weltbund der Bibelgesellschaften) herausgegebene griechische Neue Testament (und viele andere Gelehrte auch) hat zögernd entschieden, dass theou die richtige Lesart in Apg 20, 28 ist. Sie haben diese Entscheidung aber nur mit einem „C“ bewertet, was darauf hinweist, dass sie „beträchtliche Zweifel“ haben.
In einem Großteil der Diskussionen, ob nun theou oder kuriou in Apg 20, 28 das ursprüngliche Wort ist, fragen die Textkritiker sich, warum die Kopisten theou mit kuriou oder umgekehrt wohl ausgetauscht haben mögen. In der textkritischen Diskussion geht es tatsächlich um diese Gründe. Es ist gut möglich, dass ein Schreiber den ursprünglichen Text verändert hat und theou durch kuriouersetzt hat, weil er theou für zu verwirrend gehalten hat. Denn offensichtlich hat GOTT selbst keinen physischen Leib, der aus Fleisch und „Blut“ besteht, wohingegen der „Herr“ Jesus einen solchen hatte. Auf der anderen Seite ist es möglich, aber weniger wahrscheinlich, dass ein Schreiber das Gegenteil getan hat und theou durch kuriou ersetzt hat, um sich der Irrlehre zu widersetzen, die als „Patripassianismus“ bekannt ist.
Ein wichtiges Element des inneren Beweises unterstützt die Auffassung, dass „GOTT“ die richtige Lesart in Apg 20, 28 ist. Denn der Ausdruck „die Gemeinde GOTTES“ erscheint elf Mal in den Briefen von Paulus, wohingegen „die Gemeinde des Herrn“ nirgendwo im Neuen Testament zu finden ist. Das zweite inhaltliche Problem in Apg 20, 28 ist die Frage, ob das Wort idiou („eigen“) im griechischen Text als Adjektiv oder Substantiv behandelt werden muss. Es geht also darum, ob der richtige Text lautet: tou idiou haimatos (sein eigenes Blut) oder tou haimatos tou idiou (das Blut seines Eigenen; einige würden auch das mit „sein eigenes Blut“ übersetzen). Die erstgenannte Lesart führt von sich aus dazu, Jesus „GOTT“ zu nennen und in der Tat, sie wird in der Regel in den Handschriften (MSS) gefunden, in denen theou steht.
Der UBS Ausschuss hat auch tou haimatos tou idiou („Blut seines Eigenen“) als richtigen Text eingestuft und ihm eine B-Bewertung gegeben, was bedeutet, dass der Ausschuss darüber „gewisse Zweifel“ hat. Diese UBS Textvariante in Apg 20, 28 wird deshalb wie folgt übersetzt: „Die Gemeinde GOTTES, die ER durch das Blut Seines Eigenen (Sohnes) erworben hat.“ Diese Übersetzung nennt Jesus natürlich nicht „GOTT“.
Wenn theou in Apg 20, 28 richtig ist, dann gibt es zwei grundlegende Übersetzungsmöglichkeiten dieses Verses und drei Möglichkeiten ihn zu verstehen, die ich jetzt kurz (mit angefügten Kommentaren) anführen will:
1. „Zu weiden die Gemeinde GOTTES, die ER durch Sein eigenes Blut erworben hat.“ Diese Übersetzung suggeriert, dass das Wort „GOTTES“ sich auf Jesus bezieht, da der Vater kein Blut in sich hat. Der Trinitarier A.W. Wainwright räumt ein: „Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass die Gottheit Christi in solch einer derben und irreführenden Form verkündet worden sein soll.“ In der Tat hat diese Lesart einige Kirchenväter veranlasst, den noch irreführenderen Ausdruck „das Blut GOTTES“ zu verwenden. Allerdings kann diese Übersetzung auch so verstanden werden, als meine sie, dass GOTT, der Vater, die Gemeinde durch das Blut Jesu erworben hat und dass dieses Blut zu beiden gehört, zu GOTT, dem Vater, und zu Jesus Christus (vergl. Joh 17, 10).
2. „Zu weiden die Gemeinde GOTTES, die ER durch das Blut Seines Eigenen (Sohnes) erworben hat.“ Diese Lesart im von der USB zusammengestellten griechischen Neuen Testament macht klar, dass „GOTT“ sich auf den Vater bezieht, dass „Blut“ zu Jesus gehört und dass „seines Eigenen“ den eigenen Sohn des Vaters meint, d.h. Jesus Christus. Diese Lesart, die von einer großen Mehrheit der heutigen Bibelkundler bevorzugt wird, nennt Jesus nicht „GOTT“. Vielmehr beleuchtet sie die innige Verbindung zwischen dem Vater und Seinem Sohn. Die Bedeutung dieser Übersetzung ist in dem neuen Lied zusammengefasst, das Jesus im Himmel gesungen wird: „Du bist geschlachtet worden und hast durch dein Blut Menschen für GOTT erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation“ (Off 5, 9).
Eine überwiegende Mehrheit von Bibelauslegern der vergangenen Jahrzehnte hat Apg 20, 28 als Text gesehen, der Jesus nicht als GOTT identifiziert. Auch die meisten heutigen streng trinitarischen Ausleger, besonders auch diejenigen, die immer wieder geschrieben haben, dass Jesus im Neuen Testament als GOTT identifiziert wird, sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses in Apg 20, 28 nicht gesagt wird. So stellt zum Beispiel Raymond E. Brown, der hervorragende katholische Neutestamentler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, fest: „Wir sind längst nicht sicher, dass Jesus in diesem Vers ‚GOTT‘ genannt wird.” Murray Harris erscheint es „unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich.“ Und A.W. Wainwright gibt zu, dass „dieser Vers nicht als überzeugender Beweis angeführt werden kann, dass Jesus zu neutestamentlichen Zeiten GOTT genannt worden ist.
Dieser Artikel stammt von Kermit Zarley (Servetus the Evangelical). Auf seiner Webseite – servetustheevangelical.com – kann man 50 solcher Artikel in englischer Sprache lesen. Sie sind eine Zusammenfassung seines sorgfältig recherchierten, biblisch in die Tiefe gehenden, 600-seitigen Buches mit dem Titel: The Restitution of Jesus Christ (2008)