Ist Jesus nach Joh 1,1c GOTT?
(Is Jesus God in John1.1c?)
von Servetus the Evangelical
Im Verlaufe der Kirchengeschichte haben fast alle Bibelausleger behauptet, dass es zwei grundlegende Stellen im Neuen Testament gibt, die Jesus als GOTT identifizieren würden. Das sei zum einen Joh 1, 1c („und das Wort war Gott“) und zweitens Joh 20, 28 („mein Herr und mein Gott“). In diesem Artikel wollen wir uns mit Joh 1, 1c befassen. Dieser kurze Satzteil hat mehr als jeder andere Text der Bibel viele Christen veranlasst zu glauben, dass Jesus GOTT ist. Das kommt aber daher, dass die meisten das biblische Griechisch nicht kennen und deshalb nichts von den grammatischen Problemen wissen, die es hier bei der Übersetzung gibt.
Das Johannesevangelium beginnt mit einem Prolog, der 18 Verse umfasst. Er ist quasi eine Kurzfassung dieses Evangeliums, wobei viele seiner Sätze mit Abschnitten im nachfolgenden Text verbunden sind. In den meisten modernen englischsprachigen Bibeln ist Joh 1, 1 so übersetzt wie in der King James Version (KJV). Dort heißt es: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Das erste Problem, das bei dieser Lesart zum Vorschein kommt, ist, dass das „Wort“, das bei GOTT ist, nicht zu dem „Wort“ zu passen scheint, das tatsächlich GOTT ist.
Traditionalisten (das sind Christen, die glauben, dass Jesus GOTT ist) behaupten, dass dieser Prolog Jesus „GOTT“ nennt, indem sie Joh 1, 1c neben Vers 14 stellen. Dort heißt es, Bezug nehmend auf den Menschen Jesus Christus: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“. Traditionalisten schlussfolgern also, dass „das Wort“ GOTT gewesen ist und dass „das Wort“ Jesus Christus geworden ist und dass Jesus Christus somit also GOTT ist. Es gibt aber bei der Übersetzung von „und das Wort war Gott“ ein paar nicht ganz so einfache grammatische Fragen.
Erstens: Der griechische Text von Joh 1, 1c lautet: „kai theos en ho logos“. In der wörtlichen Reihenfolge übersetzt, heißt es: „und Gott war das wort“, weil theos (Gott) vor logos (Wort) steht. Wegen dieser Wortstellung haben einige Übersetzer, darunter Wycliffe, Coverdale, Bishop und Luther – schon vor der KJV von 1611 – Joh 1, 1c so übersetzt: „und Gott war das Wort.“
Zweitens: Das größere grammatische Problem bei Joh 1, 1c liegt aber darin, dass theos hier ohne Artikel (gr. ho = der) steht, während theos in der vorhergehenden Aussage in Joh 1, 1b einen Artikel hat (ton theon). Ein Substantiv mit einem Artikel macht in der Regel etwas eindeutig und bestimmt, - „der GOTT/Gott“, während ein Substantiv ohne Artikel etwas unbestimmt macht, - „ein Gott“. Deshalb bestehen die Zeugen Jehovas darauf, dass Joh 1, 1c wie folgt übersetzt werden muss: „und das Wort war ein Gott.“
Wegen dieser grammatischen Schwierigkeiten in Joh 1, 1c betrachten einige studierte Autoritäten das ohne Artikel stehende theos als eine qualitative Aussage und übersetzen diese Aussage adjektivisch, - „und das Wort war göttlich“ (ähnlich Zürcher, Gute Nachricht). Diese Übersetzung scheint aber nicht ganz berechtigt zu sein, denn wenn der Autor (Johannes) den logos so hat beschreiben wollen, dann hätte er sehr wahrscheinlich das griechische Wort für göttlich benutzt, was theios ist.
Im 20. Jahrhundert ist es unter den Neutestamentlern zu heftigen Diskussionen über die artikellosen Substantive im griechischen NT gekommen, speziell auch über Joh 1, 1c. Diese Diskussion ist in zwei Artikeln aufgenommen worden, die in der gleichen renommierten theologischen Zeitschrift (Journal of Biblical Literature) veröffentlicht worden sind, allerdings in einem Abstand von einer Generation.
1933 hat E.C. Colwell versucht, eine griechische Grammatikregel zu etablieren. Er behauptete, dass „ein bestimmtes Prädikatsnomen einen Artikel hat, wenn es dem Verb folgt, aber keinen Artikel hat, wenn es dem Verb vorausgeht.“ Er hat damit versucht, die traditionelle Übersetzungsweise von Joh 1, 1c zu unterstützen und Traditionalisten haben seitdem immer auf diese „Colwell Regel“ verwiesen. Allerdings hat Colwell eingestehen müssen, dass der Kontext Ausnahmen von seiner Regel verlangen kann.
1973 hat Philip Harner geschrieben: „Colwell war die meiste Zeit mit der Frage beschäftigt, ob artikellose Prädikatsnomen nun bestimmt oder unbestimmt sind, aber er hat sich nicht ausführlich genug mit dem Problem ihrer qualitativen Bedeutung befasst.“ Harner zeigt, dass ein artikelloses Prädikatsnomen, wenn es einem Verb vorausgeht, wie in Joh 1, 1c, eine eindeutig qualitative Kraft hat, die bedeutender ist als seine Bestimmtheit oder Unbestimmtheit. Harner kommt zu dem Schluss: „Ich glaube, dass in Joh 1, 1 die qualitative Bedeutung des Prädikats so dominant ist, dass man das Nomen nicht als bestimmt ansehen kann.“ Damit übersetzt er theos in Joh 1, 1c qualitativ. Nach Harners Beurteilung ist die traditionelle Übersetzung von Joh 1, 1c („und das Wort war Gott“) also nicht richtig. Bis zum heutigen Tag sind Harners Feststellungen nicht in Frage gestellt worden. Im Gegenteil, eine ständig steigende Zahl von Theologen hat seine schlüssige Argumentation begrüßt und sich deshalb gegen die traditionelle Übersetzung von Joh 1, 1c gewandt.
Herner beendet seinen Artikel, indem er der Übersetzung der New English Bible (NEB) beipflichtet, die Johannes 1, 1c so übersetzt: „und was Gott war, das war das Wort“. Das bedeutet, dass das Wort, das später Jesus von Nazareth wurde, genauso wie GOTT war, ohne GOTT zu sein. Diese Übersetzungsweise betrachtet das artikellose theos adjektivisch, als qualitativ, ohne es mit „göttlich“ zu übersetzen. Diese Übersetzung passt sehr gut zu dem letzten Satzteil in Hebräer 1, 3. Dort heißt es: „Er [Jesus] ist der Abglanz seiner [GOTTES] Herrlichkeit und das Ebenbild seines [GOTTES] Wesens.“
Letztendlich passt die Übersetzung von Johannes 1, 1c der NEB – „und was GOTT war, das war das Wort“ – sehr gut zu den folgenden Aussagen Jesu im Johannesevangelium:
„der Vater ist in mir ist und ich in dem Vater!“ (Joh 10, 38)
„Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“ (Joh 12, 45)
„Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14, 9)
„dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist“ (Joh 14, 11, vergl. V. 20)
„Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20, 28).
Die Worte Jesu, „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14, 9), erklären Johannes 1, 1c recht gut. Was sagen die Theologen dazu? Marinus de Jonge sagt: „Der Autor dieses Prologs will klar und deutlich „das Wort” und GOTT so eng wie möglich mit einander verbunden zeigen, ohne den Glauben an den Einen GOTT zu verletzen.“
William Barclay stellt fest: „Wenn Johannes sagt: ‚Das Wort war Gott‘, dann sagt er nicht, dass Jesus mit GOTT identisch gewesen ist; er sagt, dass Jesus in seinem Denken, in seinem Herzen, in seinem Sein so vollkommen der Gleiche wie GOTT gewesen ist, dass wir in ihm ganz genau sehen können, wie GOTT ist.“
In meinem Buch „The Restitution of Jesus Christ“ (2008) habe ich 12 Seiten einer eingehenden Untersuchung von Joh 1, 1c gewidmet. Darin habe ich 26 anerkannte Theologen und ihre Arbeiten zitiert.
Dieser Artikel stammt von Kermit Zarley (Servetus the Evangelical). Auf seiner Webseite – servetustheevangelical.com – kann man 50 solcher Artikel in englischer Sprache lesen. Sie sind eine Zusammenfassung seines sorgfältig recherchierten, biblisch in die Tiefe gehenden, 600-seitigen Buches mit dem Titel: The Restitution of Jesus Christ (2008)