Was sah Jesaja? (Johannes 12,41)
Wiewohl er aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn, auf daß das Wort des Propheten Jesajas erfüllt würde, welches er sprach: "Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart worden?" Darum konnten sie nicht glauben, weil Jesajas wiederum gesagt hat: "Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, auf daß sie nicht sehen mit den Augen und verstehen mit dem Herzen und sich bekehren, und ich sie heile." Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete. (Johannes 12,37-41)
Im Todesjahre des Königs Ussija, da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Throne, und seine Schleppen erfüllten den Tempel. Seraphim standen über ihm; ein jeder von ihnen hatte sechs Flügel: mit zweien bedeckte er sein Angesicht, und mit zweien bedeckte er seine Füße, und mit zweien flog er. Und einer rief dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist JHWH der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit! Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen von der Stimme der Rufenden, und das Haus wurde mit Rauch erfüllt. (Jesaja 6,1-4)
Schon in Johannes 17,5 lesen wir, dass der Messias die Herrlichkeit vor Grundlegung der Welt hatte. Daher ist die trinitarische Interpretation, dass Johannes bei der Schau des Propheten, den präexistenten Christus gemeint hat. Dies lässt sich auch mit deren Vorstellung der Logos-Christologie verbinden. Der vorher beim Vater präexistente Logos (Joh 1,1) seine schon immer eigene Sohnesherrlichkeit auf Erden enthüllt hat. Zudem lässt der Text sich auch für den Modalismus (Jesus Herrlichkeit = JHWHs Herrlichkeit → Jesus = JHWH) verwenden.
Hat diese Stelle etwas mit Jesaja 6,1-4 zu tun? Nein! Bei dem Abschnitt handelt es sich um eine Vision von JHWH. Der Abschnitt sagt nichts über den kommenden Messias aus. Es gibt zwar viele Stellen im Buch Jesaja, die über den kommenden Messias sprechen, z.B. 9,6-7; 11,1, 10-12; 16,5; 32,1; 42,1-7; 49,1-7; 50,4-9; 52,12-15; 53,1-12; 55,4-5; 61,1-2. Wenn wir diese Stellen lesen, werden wir feststellen, dass Jesaja, wenn er vom kommenden Messias spricht, sei es als König oder als Knecht JHWHs, den Messias nie mit Jahwe selbst verwechselt. In Kapitel 6 gibt Jesaja keinerlei Hinweis darauf, dass er sich auf den kommenden Messias bezieht.
Doch was sagt dieser Text tatsächlich aus?
So ist in Joh 17,5 die Herrlichkeit, die Jesus beim Vater „hatte“ für ihn in Gottes Plan für Seinen Sohn aufbewahrt. In Vers 22 wird dieselbe Herrlichkeit, die dem Sohn verheissen worden war, den Jüngern, die vor Grundlegung der Welt noch gar nicht lebten, gegeben. Jesus spricht von ihnen und sagt: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“. So wie Gott sprach auch Jesus von den Dingen „wie wenn sie da wären“ (Röm 4,17). Als er für die Herrlichkeit betete, von der er wusste, dass sie ihnen von Gott verheissen worden war, sprach er ebenfalls von der Herrlichkeit, der er beim Vater „hatte“ und bezeichnete so, dass sie „beim Vater aufgehoben war“, als Unterpfand in Gottes Plan. So war also die Herrlichkeit Jesu von Beginn an als sein Besitz ausgewiesen worden. Nun betete er darum, sie auch zu erhalten. Was für eine Herrlichkeit sah Jesaja? Die Herrlichkeit eines leidenden (Jes 53,4) und sterbenden (Jes 53,8) Knechtes und eines zukünftigen Herrschers (Jes 53,12).
Wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm JHWHs offenbar geworden? (Jesaja 53,1)
auf daß das Wort des Propheten Jesajas erfüllt würde, welches er sprach: "Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart worden?" (Johannes 12,38)
Johannes zitiert Jesaja, um aufzuzeigen, wie sich dessen prophetische Aussagen über die Zukunft erfüllen werden. Viele haben den Verkündigungen zur Zeit des Messias auf Erden nicht geglaubt und hier erfüllt sich das Wort Jesajas. Die Herrlichkeit betrifft nicht einem präexistenten "Gott-Sohn", der im Himmel auf dem Thron des Vaters sass, sondern des Messias, der seine Herrlichkeit in den Werken offenbarte, die er tun würde, einschliesslich des Todes am Kreuz. Das ist die Herrlichkeit, die Jesaja sah. Siehe hierzu Johannes 12,38. Ein Zitat von Jesaja 53,1.
Jesaja wurde ca. 750 Jahre vor der Kreuzigung des Messias geschrieben. Doch Jesaja schreibt es in Vergangenheitsform, als wäre alles schon geschehen. Im Plan Gottes ist dies bereits passiert. Es ist das Vorherwissen Gottes. Das biblische Hebräisch kennt einen „prophetischen“ Perfekt, in dem die Vergangenheitsform benutzt wird, um von Gott verheissene zukünftige Dinge zu beschreiben.
Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen verherrlicht werde. (Joh 12,23)
Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. (Joh 12,32)
Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln; er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. (Jesaja 52,13)